Es gibt nichts, was es nicht gibt ...
„Frau Balbutis, Sie verstehen das nicht. … Diese Made habe ich
nicht irgendwo in der Wohnung gefunden, sondern auf meinem Arm. Frau
Balbutis, in meinem Körper nisten Maden! Sie bauen ihre Nester in meiner
Achselhöhle.“ Auf dieses Stichwort hin reißt er den Morgenmantel
auseinander und entblößt einen erstaunlich haarlosen Oberarm. „Sehen
Sie! Da krabbelt eine! Holen Sie eine Pinzette!“ Ich starre und starre –
aber da ist nichts. Langsam schüttele ich den Kopf. „Da ist keine
Made.“ „Himmel noch mal, haben Sie keine Augen im Kopf?“ Aus der
Morgenmanteltasche fischt Böhm eine angelaufene Lupe. „Sie müssen ganz
genau hinsehen. Ich sehe sie, Frau Balbutis, und ich spüre sie auch. Wie
sie auf meiner Haut entlangkriecht, wie sie sich ernährt und wie sie
sich fortpflanzt…“
Herr Böhm leidet unter
Dermatozoenwahn. Laut Wikipedia versteht man darunter „die wahnhafte
Vorstellung, dass sich Lebewesen (meist Würmer oder Insekten) unter der
Haut befinden und sich bewegen.“ Klingt eklig und nach nichts, worunter
man auch nur ansatzweise leiden möchte. Vermutlich wüsste man nicht mal,
wie man auf einen Familienangehörigen (oder Freund, Kollegen, Nachbarn)
reagieren sollte, der einem ein Geständnis wie im obigen Textauszug
machen würde.
Dr. Bettina Balbutis ist Ärztin.
Vermutlich eine gute, ganz sicher aber eine engagierte. In diesem Buch
stellt sie uns 33 Krankheiten vor, die allesamt skurril, manchmal gar
nicht so selten, häufig sehr peinlich und zum größten Teil für den
medizinischen Laien unbekannt sind.
Wer jetzt aber mit
einer trockenen Auflistung gruseliger Symptome und medizinischer
Fachausdrücke rechnet, der irrt. Zwar bekommt der Leser reichlich
detaillierte Information, die wird aber zum einen gut verständlich
rübergebracht und wird zum anderen in einer so locker-lustigen
Erzählweise präsentiert, dass man wirklich (trotz teilweise ernster
Themen) viel zu lachen hat.
Die Autorin schreibt aus
ihrem Leben, aus ihrer Praxis. Sehr menschlich berichtet sie über
Stinknasen und Penisbrüche, über Menschen, die vor Scham nicht rot,
sondern gelb anlaufen. Über Scheinschwangerschaften und Menschen, die
davon überzeugt sind, dass sie tot sind. („Gräm dich nicht, Kindchen. Ich bin schon seit zwei Jahren tot, ist gar nicht schlimm.“)
Wir erfahren, dass es Menschen gibt, die stockbesoffen sein können,
ohne einen Schluck Alkohol getrunken zu haben und dass die „Retrograde
Ejakulation“ ein Grund für einen unerfüllten Kinderwunsch sein kann.
Das
alles ist überaus unterhaltsam. Aber wichtiger noch ist die enthaltene
Info. Ich stelle mir vor, dass manch einer hier seine Symptome liest,
über die er bislang nicht gesprochen hat, die ihm peinlich waren. Und
nun erfährt er, dass es keinen Grund gibt, sich zu schämen und dass es
ärztliche Hilfe für ihn geben kann. Oder man selbst ist kein
Betroffener, kennt aber jemanden, über den man bislang gelacht hat. Dem
man vielleicht mangelnde Hygiene unterstellt hat oder den man schlicht
für „verrückt“ hielt.
Fazit: Ein Buch, das sehr
unterhaltsam ist, das Wissen vermittelt, das richtig viel Spaß macht und
gleichzeitig Verständnis und soziales Miteinander fördern kann. Wenn
auch die Autorin selbst bei ihren Freunden manchmal aneckt…
„Tust du mir einen Gefallen? … Kannst du woanders hingucken, wenn du dein Medizinerzeug denkst? Das macht mich echt nervös.“
© Manu
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