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Samstag, 26. Juli 2014

Gastrezension - Das Simpsons-Syndrom von Bettina Balbutis

Es gibt nichts, was es nicht gibt ...

 „Frau Balbutis, Sie verstehen das nicht. … Diese Made habe ich nicht irgendwo in der Wohnung gefunden, sondern auf meinem Arm. Frau Balbutis, in meinem Körper nisten Maden! Sie bauen ihre Nester in meiner Achselhöhle.“ Auf dieses Stichwort hin reißt er den Morgenmantel auseinander und entblößt einen erstaunlich haarlosen Oberarm. „Sehen Sie! Da krabbelt eine! Holen Sie eine Pinzette!“ Ich starre und starre – aber da ist nichts. Langsam schüttele ich den Kopf. „Da ist keine Made.“ „Himmel noch mal, haben Sie keine Augen im Kopf?“ Aus der Morgenmanteltasche fischt Böhm eine angelaufene Lupe. „Sie müssen ganz genau hinsehen. Ich sehe sie, Frau Balbutis, und ich spüre sie auch. Wie sie auf meiner Haut entlangkriecht, wie sie sich ernährt und wie sie sich fortpflanzt…“

Herr Böhm leidet unter Dermatozoenwahn. Laut Wikipedia versteht man darunter „die wahnhafte Vorstellung, dass sich Lebewesen (meist Würmer oder Insekten) unter der Haut befinden und sich bewegen.“ Klingt eklig und nach nichts, worunter man auch nur ansatzweise leiden möchte. Vermutlich wüsste man nicht mal, wie man auf einen Familienangehörigen (oder Freund, Kollegen, Nachbarn) reagieren sollte, der einem ein Geständnis wie im obigen Textauszug machen würde.

Dr. Bettina Balbutis ist Ärztin. Vermutlich eine gute, ganz sicher aber eine engagierte. In diesem Buch stellt sie uns 33 Krankheiten vor, die allesamt skurril, manchmal gar nicht so selten, häufig sehr peinlich und zum größten Teil für den medizinischen Laien unbekannt sind.

Wer jetzt aber mit einer trockenen Auflistung gruseliger Symptome und medizinischer Fachausdrücke rechnet, der irrt. Zwar bekommt der Leser reichlich detaillierte Information, die wird aber zum einen gut verständlich rübergebracht und wird zum anderen in einer so locker-lustigen Erzählweise präsentiert, dass man wirklich (trotz teilweise ernster Themen) viel zu lachen hat.

Die Autorin schreibt aus ihrem Leben, aus ihrer Praxis. Sehr menschlich berichtet sie über Stinknasen und Penisbrüche, über Menschen, die vor Scham nicht rot, sondern gelb anlaufen. Über Scheinschwangerschaften und Menschen, die davon überzeugt sind, dass sie tot sind. („Gräm dich nicht, Kindchen. Ich bin schon seit zwei Jahren tot, ist gar nicht schlimm.“) Wir erfahren, dass es Menschen gibt, die stockbesoffen sein können, ohne einen Schluck Alkohol getrunken zu haben und dass die „Retrograde Ejakulation“ ein Grund für einen unerfüllten Kinderwunsch sein kann.

Das alles ist überaus unterhaltsam. Aber wichtiger noch ist die enthaltene Info. Ich stelle mir vor, dass manch einer hier seine Symptome liest, über die er bislang nicht gesprochen hat, die ihm peinlich waren. Und nun erfährt er, dass es keinen Grund gibt, sich zu schämen und dass es ärztliche Hilfe für ihn geben kann. Oder man selbst ist kein Betroffener, kennt aber jemanden, über den man bislang gelacht hat. Dem man vielleicht mangelnde Hygiene unterstellt hat oder den man schlicht für „verrückt“ hielt.

Fazit: Ein Buch, das sehr unterhaltsam ist, das Wissen vermittelt, das richtig viel Spaß macht und gleichzeitig Verständnis und soziales Miteinander fördern kann. Wenn auch die Autorin selbst bei ihren Freunden manchmal aneckt…

„Tust du mir einen Gefallen? … Kannst du woanders hingucken, wenn du dein Medizinerzeug denkst? Das macht mich echt nervös.“

© Manu 

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