Der Tote, über den man nicht sprechen darf.
„Erwischst mich nicht.
Erwischst mich nicht.
Erwischst mich nicht.
Jedes
Mal, wenn ich wieder von der Welle geträumt habe, trainiere ich so. Wie
ein Irrer. Ich ziehe das Tempo an, bis ich nur noch Herz und Lunge und
Rhythmus bin. Drehe weiter auf und fliege fast durch das Wasser. Bin
nicht mehr Lukas, bin was anderes, was dazwischen, ein Wesen halb Fisch,
halb Mensch.
… Mein Sportlehrer wollte mich auch, für die Schulmannschaft. So ein Talent wie ich müsste in den Leistungssport.
Aber ich schwimme nicht gegen andere Menschen.
Nicht mal gegen mich selbst.
Ich schwimme gegen die Welle.“
Am
26. Dezember 2004 löste ein Erdbeben eine Reihe von verheerenden
Tsunamis an den Küsten des Indischen Ozeans aus. Insgesamt starben durch
das Beben und seine Folgen etwa 230.000 Menschen (gem. Wikipedia). In
Thailand wurden geschätzte 8.000 Menschen von der Welle in den Tod
gerissen. Einer davon war Lukas Vater.
Das ist nun 10 Jahre her,
Lukas ist mittlerweile 14 Jahre alt. Doch Nacht für Nacht plagen ihn
Alpträume, muss er im Schlaf gegen die Welle kämpfen. Und Tag für Tag
vermisst er seinen Vater. Das Schlimmste ist aber, dass er mit niemandem
aus seiner Familie über seinen Vater sprechen kann - weder seine
Mutter noch seine Großeltern beantworten seine Fragen. Es ist, als hätte
es seinen Vater nie gegeben!
Lukas will Antworten, Lukas sucht
die Wahrheit. Als er einen Brief findet, den seine Mutter versteckt
hatte, macht er eine Entdeckung, die ihn völlig schockiert…
Lukas
kämpft jeden Tag. Er kämpft gegen seine Angst, gegen das Trauma, das
die Flutwelle bei ihm verursacht hat. Wie häufig im Leben sorgt
Schweigen dafür, dass eine Situation noch schlimmer erlebt wird, als sie
ohnehin schon ist.
Mit niemandem kann er über den Tod seines
Vaters reden. Also hat er sich kundig gemacht, hat alles über „die
Welle“ gelesen und angeschaut. Seine Phantasie malt sich immer wieder
aus, wie sein Vater wohl gestorben ist. Jede Nacht aufs Neue –
furchtbar!
Lukas Weg, damit zu leben, ist sein tägliches
Schwimmtraining. Dabei fordert er sich bis zur totalen Erschöpfung, bis
die Gedanken wieder frei werden. Mich hat das sehr beeindruckt!
Die
familiäre Situation, in der Lukas lebt, ruft bei mir nur Kopfschütteln
hervor. Regelmäßig hätte ich mir seine Mutter schnappen und mal
ordentlich durchschütteln wollen! Wie kann man dem Jungen nur seinen
Vater so komplett wegnehmen?
Lukas wehrt sich dagegen. In
Gedanken spricht er mit seinem Vater, hütet er vage Erinnerungen, die er
an ihn hat. Und er macht ihm Vorwürfe: Warum hast du mich
alleingelassen? Ich bräuchte deinen Rat! Warum bin ich so schüchtern?
Hab ich das von dir?
Eins war mir sehr schnell klar: Das
Buch ist ungeheuer emotional geschrieben. An keiner Stelle hat es mich
kalt gelassen! Lukas Gedanken und Gefühle stürzen auf ihn ein, kurze und
abgehackte Sätze machen das ganz deutlich! Es sind einfach zu viele
Emotionen auf einmal und sie sind viel zu intensiv! Wer so etwas erlebt,
denkt nicht in ganzen Sätzen! All die Verzweiflung und die Wut auf die
diversen Erwachsenen, die nicht mit ihm reden und auf seinen Vater, der
ihn durch seinen Tod verlassen hat, kommen unmissverständlich raus.
Ohnehin ist die Pubertät eine Lebensphase, die von starken Gefühlen und
Gefühlsschwankungen beherrscht wird. Wenn dann noch solche Probleme
hinzukommen, wie hier bei Lukas, wundere ich mich nicht über
gelegentliche heftige Wutanfälle.
Dabei merkt man, dass
Lukas kein braver Vorzeigejunge ist. Nein, er ist ein ganz normaler
Junge mit ganz normalen Gefühlen. Dass er schon mal durchdreht, macht
ihn authentisch und gibt die Möglichkeit, sich mit ihm zu
identifizieren.
Ebenso normal ist, dass Lukas nicht rund um die
Uhr an seinen Vater denkt. Neben seinem täglichen Schwimmtraining ist
Lesen für ihn enorm wichtig – ein Punkt, der mir natürlich ungeheuer
sympathisch ist ;-) Und wenn er den „Kinderhassern“ in der Nachbarschaft
einen Streich spielt, kann ich nicht anders, als breit zu grinsen.
Fazit:
Ein sehr empfehlenswertes Jugendbuch über die Suche nach der eigenen
Identität. Ein Plädoyer für Offenheit und Toleranz, das auch Eltern
lesen sollten.
© Manu
Hallo!
AntwortenLöschenDie Rezi habe ich vorhin an anderer Stelle gelesen, auf jeden Fall wächst meine WL.
Lg, Nicole