Spannende Spurensuche zwischen Dünen und Watt
Mit einem Mal flog die Tür zum Wohnraum auf, und die massige,
leicht gebeugte Gestalt eines Mannes füllte den Rahmen. Ohne ein Wort
des Grußes trat er auf die Leiche zu. Ein kurzer Blick auf das Antlitz
und den dürftig wieder bekleideten Körper, dann griff er dessen Schulter
und drehte ihn um. Brummend deutete er auf die Wunde am Hinterkopf und
blickte in die Augen des Pastors. „Was soll das mit dem
Kapitalverbrechen? Busso Dahl wird betrunken hingeschlagen sein. Jeder
auf der Insel weiß, wie gern er seinem Schnaps zusprach. Tragisch genug
für die Familie unseres Postläufers, sind ja alles Habenichtse.“ (S.
42)
Strandvogt Hinrich Gulderling muss schnell
erkennen, dass er sich in diesem Fall irrt. Der tote Postläufer, der im
Watt gefunden wurde, wurde eindeutig ermordet! Eine Wunde am Hinterkopf,
eine im Schulterblatt steckende Harpune und diverse Holzpflöcke, mit
denen er am Meeresboden fixiert wurde, sprechen eine deutliche Sprache.
Eine Untersuchung ist so leider unumgänglich.
Amrum, im
September 1845. Der reisende Schriftsteller Johann Georg Kohl hatte sich
seinen Aufenthalt auf der Insel ganz anders vorgestellt. Von der
Dünenlandschaft Amrums hatte er schon einiges gehört, nun sollten seine
Eindrücke von der Insel der Stoff für sein nächstes Buch werden. Doch
schon auf der Hinfahrt durchs Watt werden seine Gedanken abgelenkt: Weg
von den Dünen und hin zu diesem grauenhaften Mordopfer, das er und seine
Mitreisenden entdecken. Schnell ist seine Neugier geweckt und er
beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln…
Ein tolles Buch!
Ich hatte viel Spaß beim Lesen! Der Krimi-Handlung fehlte nichts, es
gab für mich jede Menge Aspekte, die zum Miträtseln einluden. Wer konnte
ein Motiv haben, wer die Gelegenheit? Was steckt hinter all den
Gerüchten, die über den Toten, den Standvogt und den Dünenjungen Nickels
verbreitet werden? Es blieb spannend bis zum Schluss, der eine
ordentliche Auflösung hatte und dabei nochmal überraschte.
Wichtig
auch die starken Charaktere, von denen wir hier gleich mehrere haben.
Neben dem Schriftsteller gibt es hier beispielsweise die junge Dina
Martensen, eine starke und selbstbewusste Frau, die Johann unterstützt
und sich zudem für einen jungen Außenseiter einsetzt. Auf einer Insel
mit einer überschaubaren Menge an Bewohnern und einem Vogt, der ganz
sicher nicht zum Sympathieträger taugt, sind das sehr mutige Aktionen!
Natürlich
ist auch der Vogt zu erwähnen. Ob man ihn mag oder nicht – Eindruck
hinterlässt ein Mann wie er immer. Dann gibt es eine alte „Kräuterfrau“,
die den nicht vorhandenen Arzt ersetzt und über wirklich jeden Tratsch
informiert ist, den es so auf der Insel gibt. Weiter geht es mit einem
sittenstrengen Pastor, seinem rebellischen Sohn und natürlich Nickels,
dem oben schon erwähnten Außenseiter, der mein absoluter
Lieblingscharakter war.
Schön fand ich auch, wie hier
die Stimmung in den Dorfgemeinschaften dargestellt wird. Dieses
Getratsche, die Lästereien, die Vorurteile – schlimm, aber absolut
glaubwürdig.
„Auf dieser Insel hängt alles zusammen.
… Die Leute wissen voneinander zu viel, und christliche Vergebung gibt
es nur am Sonntag.“
Wie es sich für einen guten
historischen Krimi gehört, gibt es den passenden zeitlichen Rahmen für
die Handlung. Der Alltag ist von harter körperlicher Arbeit geprägt,
beinahe jede Familie ist Kummer und Leid gewöhnt. Gleichzeitig kann sich
ein leidenschaftlicher Leser über Tischgespräche freuen, die sich um
die damals aktuellen Werke von Hans Christian Andersen oder Charles
Dickens drehen. Noch weitere berühmte Namen werden auftauchen und ich
wünsche jedem viel Spaß beim Entdecken dieser Textpassagen! Ich hatte
ihn jedenfalls.
All das findet dabei vor einer wirklich
beeindruckenden Kulisse statt. Denn natürlich gibt es reichlich
Schilderungen der Natur, der Dünen, des Watts. Ich sah in meinem
Kopfkino mächtige Wolkenformationen über den Himmel ziehen, fühlte den
starken Wind im Gesicht… Auch wenn wir es hier mit dem Amrum des 19.
Jahrhunderts zu tun haben, merkt man deutlich, dass der Autor diese
Insel sehr mag.
Fazit: Eine spannende Spurensuche
zwischen Dünen und Watt! Dieser historische Amrum-Krimi bekommt eine
volle Leseempfehlung von mir.
© Manu
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