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Samstag, 17. Januar 2015

Gastrezension - Drei Männer im Schnee von Erich Kästner

Schein und Sein

Der Geheimrat rieb sich die Hände. »Erraten! Ich reise diesmal nicht als der Millionär Tobler, sondern als ein armer Teufel namens Schulze. Endlich einmal etwas anderes. Endlich einmal ohne den üblichen Zinnober.« Er war begeistert. »Ich habe ja fast vergessen, wie die Menschen in Wirklichkeit sind. Ich will das Glashaus demolieren, in dem ich sitze.«

Geheimrat Tobler gehört einer Minderheit an. Er ist Millionär, sogar Multimillionär. Ihm gehören diverse Fabriken, Banken und Warenhäuser. Unter dem Namen „Schulze“ nimmt er an einem Preisausschreiben einer seiner Firmen teil und gewinnt tatsächlich den 2. Preis:  Einen 10tägigen Winterurlaub in einem Nobelhotel. Zum Entsetzen seiner Familie will er seinen Gewinn antreten – allerdings nicht als reicher Mann, sondern als armer Schlucker Schulze. Akribisch bereitet er sich vor…

„In Toblers Arbeitszimmer sah es beängstigend aus. Neben den Neuanschaffungen lagen Gegenstände, die der Geheimrat auf dem Oberboden in staubigen Truhen und knarrenden Schränken entdeckt hatte. Ein Paar verrostete Schlittschuhe. Ein warmer Sweater, der aussah, als habe er die Staupe. Eine handgestrickte knallrote Pudelmütze. Ein altmodischer Flauschmantel, graukariert und mindestens aus der Zeit der Kreuzzüge. Eine braune Reisemütze. Ein Paar schwarzsamtene Ohrenklappen mit einem verschiebbaren Metallbügel. Ein Spankorb, der längst ausgedient hatte. Und ein Paar wollene Pulswärmer, die man seinerzeit dem Leutnant der Reserve in den Schützengraben geschickt hatte.“

Seine Familie ist ja schon einiges von ihm gewöhnt. Schließlich ist Tobler ein Mensch, der für Nudeln mit Rindfleisch jedes 3-Sterne-Menü stehen lässt. Was in seinem Kopf vor sich geht, ist den lieben Angehörigen daher völlig klar…

»Er will die Menschen studieren. Er will ihre Moral auf Herz und Nieren prüfen.«

Zur gleichen Zeit macht sich ein tatsächlicher armer Schlucker auf die Reise in dasselbe Nobelhotel. Ein junger Mann, seit Jahren arbeitslos, von seiner Mutter in den einzig vorhandenen „guten“ Anzug gesteckt – und der Gewinner des 1. Preises. Als jetzt noch Toblers Tochter heimlich den Hoteldirektor anruft und über die Anreise eines verkleideten Millionärs informiert, steht der Verwechslungskomödie nichts mehr im Wege…

Viele werden die Verfilmung zu diesem Buch kennen, das erstmals 1934 erschien. Ich mag sie auch, aber das Buch hat noch seinen ganz besonderen Reiz. Dieser liegt begründet in der Art und Weise, in der Kästner mit Worten umgehen konnte. Man fliegt durch den Text und nimmt - ganz nebenbei – ironische Spitzen mit…

„Wenn eine Frau gehorcht, darf sie sogar gebildet sein.“

…und herrliche Satire, als kluge Sätze getarnt…

„Echte Mißverständnisse vervielfältigen sich durch Zellteilung. Der Kern des Irrtums spaltet sich, und neue Mißverständnisse entstehen.“

Natürlich wirft man auch einen Blick in die Seele der Menschen. Wirklich Überraschendes kommt dabei nicht zutage, denn mal ehrlich: Wie oft beurteilt man einen Menschen nach seinem Aussehen? Wie normal ist es doch, ohnehin schon reichen Menschen jede mögliche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und sie mit teuren Werbegeschenken zu überhäufen, die sich diese problemlos selbst kaufen könnten und im Grunde gar nicht wertzuschätzen wissen während arme Menschen zusehen müssen, wie sie ihre Grundbedürfnisse erfüllen können.

Im Grunde haben wir hier also ein ernsthaftes Thema, das jedoch von Kästner so leicht und humorvoll präsentiert wird, dass man sich beim Lesen einfach gut unterhalten fühlt. Und am Ende, nachdem man das Buch hochzufrieden zugeklappt hat, noch ein bisschen nachdenkt…

Ach ja, falls jemand die Geschichte noch gar nicht kennen sollte: Es ist keine Weihnachtsgeschichte, sie spielt lediglich in einem Skigebiet. Und auch, wenn sie schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel hat, würde sie heute sicher genauso ablaufen.

Fazit: Humorvoll, ironisch. Ein zeitloser Roman, der ein ernsthaftes Thema sehr unterhaltsam präsentiert.

Ein kleines Zitat möchte ich noch anbringen. Jeder Leser wird verstehen, warum:

»Ein kleines Kind ist er! Ich weiß nicht, woran es liegt. Im Grunde ist er doch ein gescheiter Mensch. Nicht? Und so nett und nobel. Aber plötzlich kriegt er den Rappel. Vielleicht liest er zu viel. Das soll sehr schädlich sein. Nun haben wir die Bescherung. Nun fährt er als armer Mann in die Alpen.«

© Manu

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