Lizenz zum Spuken
Das ist eine Kopie der Londoner Anwohner-Liste. In der rechten
Spalte ist jedes Geisterhaus in London aufgelistet. In der linken steht
der Bewohner und das Datum seiner Geistgeburt. Doris hat die andere
Kopie. Sie müssen nach London und sie finden. … Antworten Sie nicht.
Mrs. Pringle wird Sie mit allen Lizenzen und Erlaubnisscheinen
ausstatten, die Sie brauchen. Viel Glück, Lackwood.“
London
im Jahre 1884. Lapsewood hat sich an sein Dasein gewöhnt. Seit seinem
Tod und seiner Geistgeburt geht er jeden Morgen ins Amt, um in der
Abfertigungsabteilung neue Todesfälle zu bearbeiten. Der neue Auftrag,
den er jetzt bekommen hat, wird ihn zurück in die Welt der Lebenden
führen – für Lapsewood eine enorm stressige Angelegenheit. Was er dann
aber entdeckt, lässt aus dem Stress ganz schnell einen Alptraum werden:
Eine Gefahr, die die gesamte Geisterwelt bedrohen kann! Immer mehr
Geister verschwinden spurlos und Geisterhäuser werden von einer
unheimlichen Seuche befallen, die „Schwarze Fäule“ genannt wird.
Eigenartigerweise scheint das Amt keinerlei Interesse zu haben, gegen
diese Bedrohung anzugehen. Zum Glück findet Lapsewood noch Verbündete in
seinem aussichtslos erscheinenden Kampf: Einen Geisterjungen namens
Thanner und den 13jährigen Sam, der der Sohn eines Leichenbestatters ist
und als „Sprechender“ die seltene Gabe besitzt, nicht nur als Lebender
Geister sehen, sondern auch mit ihnen sprechen zu können…
In
diesem Jugendbuch wird eine komplette neue Welt geschaffen, eine Welt
von Geistgestalten, die überall um uns Lebende herum existiert. Diese
Welt wird so detailliert beschrieben, dass ich gleich an Harry Potter
erinnert wurde – nur, dass es sich hier nicht um Zauberer, sondern um
Geister handelt. In diese Welt einzutauchen, machte mir großen Spaß. Ich
las, wieso man nach seinem Tod zum Geist wird und was es mit der
unsichtbaren Tür auf sich hat. Ich erfuhr, was Geister so mit ihrer
Ewigkeit anfangen und wie überaus bürokratisch so ein Geisterdasein
verwaltet wird. Ich lernte schüchterne Geister kennen und angeberische,
faule und ehrgeizige, nette und bösartige. Wer denkt, dass so ein Geist
einfach drauflos spuken kann, der irrt sich gewaltig…
„Ich
habe eine Lizenz für seltene Sichtbarkeit, bis zu sechzig Prozent auf
der Undurchsichtigkeits-Skala, entsprechend dem Regelwerk über das
Spuken an öffentlichen Orten.“ „Was heißt’n das?“, fragte Tanner. „Es
heißt, er taugt fürs Touristengeschäft“, antwortete Lapsewood.
Wie
man an diesem Zitat schon merken kann, steckt auch eine Menge Ironie in
der Geschichte. Das macht Spaß und ist allein schon sehr unterhaltsam –
aber dieses Buch kann noch mehr: Es wird sehr spannend und stellenweise
richtig, richtig schaurig. Ich würde daher empfehlen, die
Altersempfehlung, die wohl bei 12 Jahren liegt, nicht zu unterschreiten.
Das Cover ist meines Erachtens nach irreführend, denn es spricht sicher
auch jüngere Kinder an. Meine 16jährige Tochter, die sich schon durch
diverse Bücher von Stephen King gelesen hat, las dieses Buch auch und
sie bestätigte mein Gefühl. Sie empfand vor allem das hier
eingearbeitete Thema Exorzismus als unpassend für jüngere Kinder.
Eine
weitere besondere Welt, die hier erschlossen wird, ist die von Sam, dem
schon erwähnten 13jährigen Sohn eines Leichenbestatters. Als
„Sprechender“ steht er in ständigem Kontakt mit Geistern und übernimmt
(da er sehr gutmütig ist) häufig Botenfunktion für diese. Trauernden
Angehörigen noch Nachrichten zu übermitteln oder noch nicht geregelte
Erbschaftsangelegenheiten zu ordnen kann aber ganz schön
nervenaufreibend sein, weswegen Sam seine Gabe nicht selten als
Belastung empfindet…
Ein Klopfen war zu hören,
ungleich jedem weltlichen Geräusch. Und doch war es eins, das Sam viele
Male zuvor gehört hatte. Es war das Geräusch, das Geister vernahmen,
bevor sie durch die Unsichtbare Tür traten. „Das ist für mich, nicht
wahr?“, sagte Viola. Sam nickte. „Ich habe Angst.“ „Ja“, sagte Sam. Er
hatte keine beruhigenden Worte für Viola Trump. Sie würde gleich durch
eine Tür treten, die zu irgendetwas führte, was außerhalb von Sams
Vorstellungskraft lag. Er erwartete keinen Dank und er erhielt auch
keinen. Die Toten waren selten dankbar für seine Hilfe.
Sam
ist ein wirklich sympathischer Junge und man fühlt richtig mit ihm mit.
Noch weitere liebenswerte Charakter tauchen auf und die Geschichte ist –
trotz der vielen Toten ;-) – sehr lebendig geschrieben. Die Kapitel
sind kurz und die insgesamt 350 Seiten sollten auch von 12jährigen
bewältigt werden können, die sich noch nicht an etwas dickere Bücher
gewagt haben. Allerdings weiß ich nicht, ob sie schon die Ironie der
Geisterverwaltung wahrnehmen werden. Und bei besonders sensiblen
12jährigen würde ich überlegen, vielleicht noch zwei Jahre mit der
Lektüre zu warten oder sie zumindest dabei zu begleiten.
Als
erwachsener Leser habe ich mich mit dem Buch an keiner Stelle
gelangweilt, es war witzig, spannend und gruselig. Mich hat persönlich
nur gestört, dass einige sehr nette Charaktere (oder Daseinsformen ;-)
ein sehr unschönes Ende genommen haben. Natürlich weiß ich, dass nicht
immer nur die Guten siegen, aber speziell bei diesem Buch hätte mich ein
wenig mehr Happy End gefreut. Es ist ja nun auch wirklich kein Buch,
das irgendeine Botschaft vermitteln oder sehr realistisch daherkommen
will. Wobei – wer weiß das schon…?
Fazit: „Von Geistern
empfohlen“ steht auf dem Cover, ich schließe mich da gerne an und
zitiere den Geist von Edgar Allan Poe, der nach der Lektüre schrieb:
„Constable & Toop ist ein Buch voller Leben und vollgepackt mit
Tod. Alles in allem eine großartige makabre und amüsante Erzählung.“ Aber bitte nicht für jüngere Kinder!
© Manu
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