Eine sehr spezielle Ermittlerin
„So wie er war konnte sie den Raum auf keinen Fall lassen, auch
wenn die Szenerie im Dämmerlicht schon weniger hässlich wirkte. Lucie
musste Ordnung schaffen! Bestimmt würde die äußere Wiederherstellung des
ursprünglichen Zustandes eine heilsame Wirkung auf das Innenleben der
Eheleute haben. … Zurück im Schlafzimmer räumte sie den Tisch ab,
steckte den Blister in ihre Schürze, nahm die zwei Kelche in die Hand
und brachte sie in die Küche. Lucie wusch und trocknete die Gläser
sorgfältig ab und stellte sie in die Vitrine. … Sie legte Vanessas
Kleidung ordentlich über den Stuhl. Dann machte sie sich daran, die
schwarzen Tücher von den Betten zu lösen, was viel schwerer war, als sie
vermutet hatte. An diesen Knoten musste jemand sehr stark gezogen
haben. … Sie stopfte die Tücher in ihre Schürze, zog das Bett ab und
bezog die Decken mit den frisch gebügelten Laken. Es duftete herrlich
und sah so frisch gemacht aus wie das Bett eines Hotelzimmers…“
Lucie
hatte es doch gut gemeint. Obwohl sie eigentlich nur die Gardienne ist,
ist das Haus am Place des Vosges Nr. 3 seit über 40 Jahren ihre Heimat,
den Menschen dort fühlt sie sich eng verbunden. Sie sorgt nicht nur für
die Postverteilung und die Sauberkeit, sondern kennt manchen Bewohner
schon sein ganzes Leben lang. Auch Justinien Blandel hat sie schon
Pflaster auf die Knie geklebt, als er ein kleiner Junge war. Als sie nun
in seinem Schlafzimmer die Spuren eines offensichtlichen Ehebruchs
seiner Frau entdeckt, erwacht ihr Beschützerinstinkt. So macht sie
gründlich sauber und räumt alles weg, was dem armen Justinien Schmerzen
bereiten könnte.
Dumm nur, dass kurz danach die untreue Vanessa
Blandel ermordet aus der Seine gezogen wird. Lucie wird klar, dass sie
vermutlich nicht nur wichtige Spuren beseitigt hat, sondern sich damit
auch selber verdächtig gemacht hat. Da gibt es nur eine Lösung: Sie muss
selber den Täter finden.
Diese Lucie hatte gleich mein
Herz gewonnen. Sie erschien mir wie eine Seele von Mensch, ausgestattet
mit dem Wunsch, bei jedem Mitmenschen etwas Nettes zu entdecken.
Unerschütterlich bemüht sie sich sogar um die Personen, die sie selbst
schlecht behandelten. Vermutlich kann man ihr ein Übermaß an Naivität
zuschreiben. Das sorgt auch dafür, dass sie immer wieder in
haarsträubende Situationen gerät. Manches Mal dachte ich: „Oh nein! Sie
wird jetzt doch wohl nicht…“ oder „Was tut sie denn jetzt schon wieder?“
Dabei kann sie durchaus pfiffig schlussfolgern, kommt auf gute Ideen.
Und sie ist mutig, nicht selten zum Leidwesen ihrer Familie. Ihrem Mann
und den Kindern verlangt sie mit ihrer Art, sich und ihre Gesundheit
unter „Ach, anderes ist wichtiger“ einzusortieren, einiges ab. Aber
letztlich ist sie eine Frau, der man wohl nicht böse sein kann.
Die
Polizei, insbesondere der ermittelnde Commissaire, kommt dafür hier
umso schlechter weg. Natürlich ist mir klar, dass hieraus ein besonderer
Reiz entstehen soll, aber es war mir ein bisschen zu viel des Guten.
Sicher sollte Lucie bei ihren Ermittlungen der Polizei überlegen sein,
aber der Commissaire erschien mir einfach zu unbeholfen, um realistisch
zu sein. Amüsant waren die Passagen mit ihm trotzdem. Vor allem, wenn
Lucie ihn nötigt, mit ihr gemeinsam die Bettwäsche zusammenzulegen ;-)
Auch
sonst gefiel mir der Krimi gut. Auf Blut muss der Leser hier
verzichten, aber dafür ergeben sich im Laufe der Handlung immer neue
Aspekte und Tatverdächtige. Eine Weile dachte ich, dass hier beinahe
jeder irgendetwas zu verbergen hat. Das machte die Lektüre für mich
interessant und spannend.
Was zudem schön war, war die
französisch-leichte Grundstimmung im Buch. Irgendwie bekam ich ständig
Lust, jetzt sofort nach Paris aufzubrechen ;-) Ich konnte mich über
liebevolle Beschreibungen von Gebäuden und Plätzen freuen, Clochards
beobachten und bei dem häufigen Auftischen landesüblicher Köstlichkeiten
Appetit bekommen.
Fazit: Charmant, amüsant, intelligent
und unterhaltsam – mir hat dieser Krimi mit einer sehr speziellen
Ermittlerin gut gefallen. Dürfte aber nichts für strenge Anhänger der
harten Linie sein.
© Manu
In diesem Blog werde ich in meiner Bücher-Schatzkiste stöbern und die Leseerlebnisse mit Euch teilen. Folgt mir in die Tiefen meiner Schatzkiste und entdeckt zusammen mit mir die Schätze und Kostbarkeiten die sie enthält.
Mittwoch, 15. Oktober 2014
Gastrezension - Die tödliche Tugend der Madame Blandel von Marie Pellissier
Labels:
8 Punkte,
Gastrezension,
Krimi,
Marie Pellissier
1 Kommentar:
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Schön, dass dir das Buch auch so gut gefallen hat wie mir :-)
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